Stellungnahme des VBE NRW zum Antrag der AfD "Kinder ernst nehmen – Lernfreude fördern – Bildungsgerechtigkeit herstellen!"

28.01.2022

Zum Antrag der Fraktion der AfD „Kinder ernst nehmen  Lernfreude fördern  Bildungsgerechtigkeit herstellen! Schulleitungsvotum der aufnehmenden Schule auf der Grundlage eines aussagekräftigen Grundschulgutachtens als verbindliches Kriterium für die Weiterführung der Schullaufbahn festlegen.“

An vielen Stellen im Bildungssystem müssen von den Kindern und Jugendlichen Übergänge gemeistert werden. Hierbei wird kein Übergang so ausführlich diskutiert wie der Übergang der Schülerinnen und Schüler aus den Klassen 4 der Grundschulen in die Klassen 5 der weiterführenden Schulen.

Seit vielen Jahren fordert der VBE insbesondere auch für die Gestaltung des Übergangs in die weiterführenden Schulen - ein konzeptionell grundgelegtes Übergangsmanagement für die Schülerinnen und Schüler in NRW.1
Dieses muss, wenn es erfolgreich durchgeführt werden soll, einen breiten Konsens aller Beteiligten aufweisen. Lehrkräfte und Schulleitungen der Grundschulen und der weiterführenden Schulen, die Erziehungsberechtigten und die Kinder sind die Gestalterinnen und Gestalter eines gelingenden Übergangs.

Die Grundschullehrkräfte begleiten die Kinder in NRW bis zum Ende des ersten Schulhalbjahres der Klassen 4, um zu diesem Zeitpunkt die geforderten Zeugnisse und Grundschulempfehlungen mit großer Sorgfalt zu erstellen und auszugeben. Die gesamte Entwicklung eines Kindes während der Grundschulzeit, besonders die des Lern- und Leistungsverhaltens fließen in die Grundschulempfehlung ein. Sie bildet die formale Grundlage für den weiteren schulischen Bildungsweg eines Kindes.

Die entscheidenden Prozesse erfolgen aus Sicht des VBE aber vor und nach der Erstellung der Grundschulempfehlungen. Diese Prozesse werden beeinflusst durch verschiedene Aspekte, die den Unterrichtsalltag prägen.

In den Grundschulklassen existiert von Beginn an eine große Heterogenität. Diese wird nicht durch bestimmte Unterrichtsmethoden oder pädagogische Überzeugungen hergestellt. Untersuchungen zum Eintritt in die Schuleingangsphase der Grundschulen zeigen immer wieder, dass Kinder in ihrer Lern- und Leistungsentwicklung bereits zu diesem Zeitpunkt weit (bis zu einigen Jahren) auseinanderliegen.2

Demzufolge gibt es keine Leistungshomogenität und ein durchgehend gleichschrittiges Vorgehen im Unterricht heißt, dass man bewusst in Kauf nimmt, dass es Kinder gibt, die einerseits dem Unterrichtsgeschehen nicht folgen können, da ihnen die Grundlagen und die Unterstützung zum Weiterlernen fehlen. Andererseits gibt es Schülerinnen und Schüler, die auf diese Weise eine stetige Unterforderung in verschiedenen Lernberei-
chen erfahren.

Ein menschenwürdiger Unterricht wird geprägt durch ein gleichberechtigtes Lernen aller Kinder. Inklusives Lernen, individuelles Lernen und das Lernen in der Gemeinschaft sind die prägenden Faktoren für ein respektvolles Miteinander in den Schulen. Phasen des Lernens in der Gemeinschaft, in der Lerngruppe bilden die Grundlage für das Lernen des einzelnen Kindes. Gemeinsame Inhalte und Lernziele bilden den Rahmen, in dem jedes Kind seinen individuellen Lernweg gehen muss.3

Hierbei ist es auf die professionelle Vorbereitung der notwendigen Unterrichtsmaterialien, die entsprechende Unterstützung, die Lernbegleitung und den Input der Lehrkräfte angewiesen.

Die Schulen sind die Orte, an denen unsere Gesellschaft zusammenkommt. Daher ist der Anspruch an alle in Schule Tätigen zu Recht sehr hoch. Sie haben die Verantwortung dafür, dass das gemeinsame Lernen aller Kinder von Respekt gegenüber den Einzelnen geprägt ist und das soziale Miteinander trägt.

Ein Unterricht, der alle Kinder mitnimmt, ist außerdem geprägt durch regelmäßige Gespräche zwischen den Lehrkräften, den Kindern und den Eltern. Diese Gespräche über die gesamte Grundschulzeit hinweg sind außerordentlich wichtig für die Transparenz der jeweils eigenen Einschätzungen, Überzeugungen des eigenen Tuns im Hinblick auf
das Kind und entscheidend für die Wahl der weiterführenden Schule durch die Erziehungsberechtigten.

Bei den Überlegungen zur Wahl einer weiterführenden Schule muss das Kind in seiner Individualität und in seiner Gesamtheit im Fokus stehen. Das gilt für die Lehrkraft ebenso wie für die Erziehungsberechtigten. Es geht darum, für das einzelne Kind mit seinen unterschiedlichen Fähigkeiten den passenden weiteren Bildungsweg zu finden. Und es geht darum, sich bei den Überlegungen und in den Gesprächen immer bewusst darüber zu sein, dass Kinder sich stets weiterentwickeln und kein Erwachsener zum Zeitpunkt der Grundschulempfehlung sicher sein kann, welchen Schulabschluss ein
Kind letztendlich erreichen wird.

Demzufolge kann weder ein verbindliches Grundschulgutachten noch eine verbindliche Entscheidung einer Schulleitung einer weiterführenden Schule jedem Kind gerecht werden. Die Schullaufbahn eines Kindes wird wesentlich mitgetragen durch die Erziehungsberechtigten. Nur in gemeinsamer Verantwortung von Lehrkräften, Schulleitungen und Erziehungsberechtigten ist es annähernd möglich, den besten schulischen Bildungsweg für ein Kind zu finden.

Der VBE unterstützt das im vorgelegten 16. Schulrechtsänderungsgesetz angestrebte Verfahren, dass es, wenn Erziehungsberechtigte ihr Kind an einer weiterführenden Schule anmelden, für die in der Grundschulempfehlung weder eine Empfehlung noch eine eingeschränkte Empfehlung ausgesprochen wird, ein Beratungsgespräch für die Erziehungsberechtigten durch die Schulleitung geben soll. Die endgültige Entscheidung muss aber weiterhin bei den Erziehungsberechtigten liegen.

Der VBE weist an dieser Stelle deutlich darauf hin, dass gerade die rechtliche Gestaltung des sog. Übertritts in Bayern weitreichende Auswirkungen auf die Kindheit vieler hat. Bereits vor Schulbeginn werden Kinder zu verschiedenen Kursen angemeldet, weil die Erziehungsberechtigten hoffen, dass eine frühzeitige umfassende fachliche Bildung, z.B. in Englisch, die Übertrittschancen zu einem Gymnasium erhöht. Dieser Druck nimmt dann im Verlauf der Grundschulzeit massiv zu. Nicht mehr das Kind mit seinen verschiedenen Fähigkeiten in den verschiedenen Lernbereichen und seiner individuellen Entwicklung steht im Mittelpunkt, sondern die vergebenen Ziffernnoten. Je näher die Übertrittsgutachten kommen, desto mehr Druck wird von allen Beteiligten erfahren. Erziehungsberechtigte geben den Druck oft sowohl an die Kinder als auch an die zuständigen Lehrkräfte weiter.

Der VBE ist davon überzeugt, dass ein erfolgreiches Schulsystem auf einem Lernen mit Kopf, Herz und Hand basiert. Dann, wenn Schülerinnen und Schüler sich in ihrer gesamten Persönlichkeit angenommen fühlen, können sie Lernfreude, Interesse und Neugier auf Neues entwickeln. Auf diese Weise haben sie Erfolgserlebnisse, der beste Ansporn für ihre Lern- und Leistungsentwicklung.

Der VBE steht für

kleinere Lerngruppen. In einer Klasse sollten maximal 24 Kinder sein, wobei die inklusiv zu beschulenden Kinder doppelt gezählt werden müssen.

die doppelte Besetzung von inklusiven Lerngruppen mit einer allgemeinen Lehrkraft und einer Sonderpädagogin bzw. einem Sonderpädagogen.

ausreichende räumliche Ressourcen, die das Bilden von kleineren Fördergruppen ermöglichen.

ausreichende zeitliche Ressourcen für die Partizipation aller Beteiligten, für gemeinsame Förder- und Beratungsgespräche zwischen Lehrkräften, pädagogischem Personal, Schülerinnen und Schülern und Erziehungsberechtigten.

ausreichende zeitliche Ressourcen für ein gelingendes Übergangsmanagement, gestaltet von Lehrkräften und Schulleitungen der Grundschulen und der weiterführenden Schulen, den Schülerinnen und Schülern und den Erziehungsberechtigten.

das Erreichen eines möglichst hohen Schulabschlusses, unabhängig davon, an welcher Schulform ein Kind unterrichtet wird.

das Anerkennen der Bildungs- und Erziehungspartnerschaft zwischen Schule und Elternhaus.

Nach Überzeugung des VBE ist der Elternwille ein hohes Gut. Die Lehrkräfte der Grundschulen beraten und legen die Grundschulempfehlung fest, die Schulleitungen der weiterführenden Schulen führen das Anmeldeverfahren für die weiterführenden Schulen durch und führen, je nach Sachlage, ein Beratungsgespräch mit den Erziehungsberechtigen, die Erziehungsberechtigten entscheiden, an welcher Schulform ihr Kind ab der Klasse 5 weiterlernen soll.

Nur gemeinsam ist ein bestmöglicher schulischer Bildungsweg für ein Kind zu finden.

__________________________
1 Hier muss angemerkt werden, dass sich viele Kommunen bereits auf diesen Weg begeben haben. Konzepte, gemeinsam erarbeitet von Pädagoginnen und Pädagogen aller Schulformen, geben einen hilfreichen Rahmen, der den Kindern den Übergang erleichtern.
2 Spiewack, Martin: Ungerecht von Anfang an, DIE ZEIT N° 24, 10. Juni 2021, S.33,34
3 Die in den Jahrgängen der Grundschulen zu erreichenden inhaltlichen und kompetenzorientierten Lern ziele sind verbindlich grundgelegt in: Ministerium für Schule und Weiterbildung des Landes Nordrhein-Westfalen: Richtlinien und Lehrpläne für die Grundschulen des Landes Nordrhein-Westfalen, 2008 und Ministerium für Schule und Bildung: Lehrpläne für die Primarstufe, 2021, https://www.schulentwicklung.nrw.de/lehrplaene/lehrplannavigator-primarstufe/index.html

Stefan Behlau

Landesvorsitzender VBE NRW

 
 
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